Am 25. August 1953 unterzog sich der 27-jährige aus Connecticut stammende Henry Molaison einer Gehirnoperation, um die Anfälle zu behandeln, an denen er aufgrund von Epilepsie chronisch litt. Der Neurochirurg im Hartford Hospital, William Beecher Scoville, der zuvor die Hirnregionen bestimmt hatte, in denen Molaisons Anfälle auftraten, entfernte ein faustgroßes Stück Hirngewebe, das Teile seines linken und rechten medialen Temporallappens enthielt.
Verwandte Inhalte
- Wie unser Gehirn Erinnerungen schafft
- RIP, HM, Memorys berühmteste Initialen
Als Molaison nach der Operation aufwachte, war seine Epilepsie weitgehend geheilt. Die Entfernung von so viel Hirngewebe - und insbesondere einer Struktur namens Hippocampus - führte jedoch zu einem völlig neuen Problem für HM, wie er in der wissenschaftlichen Literatur bald zum Schutz seiner Privatsphäre genannt werden würde.
Von diesem Moment an war er nicht in der Lage, Erinnerungen an neue Ereignisse, Namen, Menschen, Orte oder Erfahrungen zu schaffen. Er verlor auch die meisten Erinnerungen, die er in den Jahren vor der Operation gesammelt hatte. Im grundlegendsten Sinne lebte HM ganz im Moment.
"In diesem Moment sieht für mich alles klar aus, aber was ist gerade passiert?" er sagte einmal. "Das ist es, was mich beunruhigt. Es ist wie aus einem Traum aufzuwachen. Ich kann mich nur nicht erinnern." Obwohl er Tag für Tag mit denselben Krankenschwestern und Ärzten sprach, hatte er keine Ahnung, dass er sie jemals zuvor getroffen hatte. Er blieb ein vollkommen intelligenter, einfühlsamer Mensch, konnte aber weder einen Job halten noch alleine leben. Ohne das Bindegewebe des Langzeitgedächtnisses war sein Leben auf eine Reihe inkohärenter, isolierter Momente reduziert.
Aus diesem tragischen Unglück erwuchs ein unbeabsichtigter Nutzen. Jahrzehntelang haben sich Neurowissenschaftler intensiv mit HM befasst und bahnbrechende Entdeckungen über die Gedächtnisbildung aufgrund seines Zustands gemacht. Er nahm freiwillig fast ununterbrochen an Tests teil und war am Ende weithin als der wichtigste Patient in der Geschichte der Neurowissenschaften bekannt.
Als er 2008 starb, froren Forscher um Jacopo Annese von der UC San Diego sein Gehirn in Gelatine ein und schnitten es für die weitere Forschung in 2.401 hauchdünne Scheiben. Jetzt haben sie in einem heute in Nature Communications veröffentlichten Artikel die Ergebnisse ihrer Analyse bekannt gegeben. Durch die Verwendung der Schichten zur Erstellung eines mikroskopisch detaillierten 3D-Modells des Gehirns von HM konnten sie eine zuvor unbekannte, durch die Operation hervorgerufene Läsion identifizieren, die weitere Aufschluss über die für das Gedächtnis verantwortlichen anatomischen Strukturen geben könnte.

In den Jahrzehnten nach der Operation von HM haben Forscher wie Brenda Milner und Suzanne Corkin die Gedächtnisbeschränkungen von HM untersucht und sie als Wegbereiter für das aufkommende Feld der Gedächtnisstudie verwendet. Mit Aufzeichnungen des Verfahrens von 1953 konnten sie sogar bestimmte anatomische Bereiche, die HM fehlte, mit Gedächtnisfunktionen verknüpfen.
Früher hatten viele geglaubt, dass es unmöglich sei, Funktionen auf diese Weise physikalischen Strukturen zuzuweisen, aber der einzigartige Fall von HM eröffnete neue Möglichkeiten. Er war nicht in der Lage, neue Informationen in seinem expliziten Gedächtnis zu speichern - die Art des Gedächtnisses, mit der wir uns bewusst an Erfahrungen und neue Informationen erinnern können -, aber er konnte sich über einen sehr kurzen Zeitraum (bis zu 20 Sekunden) an Informationen erinnern, Beweise dass sein Kurzzeitgedächtnis etwas intakt war. Er konnte auch neue Fertigkeiten lernen und behalten, selbst wenn er sich nicht daran erinnerte, wie man sie erlernt hatte.
Diese feinen Unterscheidungen führten dazu, dass Wissenschaftler zwischen prozeduralem Gedächtnis - dem unbewussten Gedächtnis, das es uns ermöglicht, motorische Aktivitäten wie das Fahren auszuführen - und explizitem Gedächtnis unterscheiden. Darüber hinaus konnte dieser HM keine neuen expliziten Erinnerungen bilden, hatte jedoch unbeschädigte Kindheitserinnerungen hervorgehoben, die den Unterschied zwischen der Speicherkodierung und dem Speicherabruf betrafen (er konnte immer noch Letzteres ausführen, jedoch nicht Ersteres). Vielleicht am wichtigsten ist, dass er seinen Hippocampus vermisste, was darauf hindeutete, dass die Struktur maßgeblich an der Kodierung von expliziten Langzeiterinnerungen beteiligt war, aber für das Kurzzeit- oder prozedurale Gedächtnis nicht erforderlich war.

Das Gehirn von HM wurde zu Lebzeiten mit MRT und anderen Techniken abgebildet, aber das neue hochauflösende Modell, das mit Daten erstellt wurde, die aus Fotos von Tausenden von dünnen Schnitten stammen, hat es den Forschern ermöglicht, tiefer in die Anatomie des Gehirns einzutauchen und diese zu bestimmen von Beobachtungen in einem feineren Maßstab.
Sie haben herausgefunden, dass einige Teile des Gehirns, von denen angenommen wurde, dass sie nach der Operation intakt geblieben waren, tatsächlich entfernt wurden. Beispielsweise enthielt die linke orbitofrontale Kortikalis eine kleine Läsion, die wahrscheinlich während der Operation verursacht wurde. Darüber hinaus stellten sie fest, dass einige Teile des linken und rechten Hippocampus tatsächlich unbeschädigt waren, was die Forscher veranlassen könnte, frühere Vorstellungen über die Rolle des Hippocampus in verschiedenen Arten des Gedächtnisses erneut zu untersuchen.
Das Team der UC San Diego plant außerdem die Veröffentlichung eines kostenlosen Online-"Atlas" des Gehirns, der aus hochauflösenden Bildern seiner Schnitte besteht und auf einer zoombaren Google Maps-ähnlichen Plattform angezeigt werden kann (ein Foto wurde bereits veröffentlicht). Angesichts der Tatsache, dass die ursprüngliche Zerlegung des Gehirns live im Internet übertragen wurde und schätzungsweise 400.000 Zuschauer anzog, ist es wahrscheinlich, dass der außergewöhnliche Zustand von HM sowohl im Tod als auch im Leben viele Menschen fesseln wird.