Angesichts der heutigen Konflikte zwischen Ost und West kann man leicht vergessen, dass globale Konfrontationen nicht dazu führen, dass sie durcheinander geraten. Traditionell spielten Künstler die Rolle von neugierigen Vermittlern, die über die Grenzen wanderten, die von weniger aufgeklärten Politikern auferlegt wurden. In einem berühmten Fall reiste Gentile Bellini, der berühmte venezianische Maler der Frührenaissance, als Kulturbotschafter in die Türkei und kehrte mit juwelenartigen Darstellungen der bis heute geschätzten islamischen Kultur zurück.
Gegenwärtig übernehmen einige Künstler eine Botschafterrolle, die Bellinis würdig ist. Die in Pakistan geborene New Yorker Künstlerin Shahzia Sikander wurde vom World Economic Forum zum "Young Global Leader" ernannt. Sie gehört zu einer ausgewählten Gruppe von Personen aus der ganzen Welt, deren kollektive Vision die Zukunft positiv beeinflussen könnte.
Sikander zeigt exemplarisch, wie zwei Kulturen zeremoniell heiraten und sich verflechten können. Als Botschafter der traditionellen südasiatischen Miniaturkunst überschreitet Sikander diese konservative Kunstform mit einer Leidenschaft, die gleichzeitig verspielt und progressiv ist. Sikander wurde in einer pakistanischen Kunstschule ausgebildet und malt mit der Feinheit eines Miniaturisten. Er verwendet feine Pinsel und Pflanzenfarben auf behandeltem Papier - eine Technik, die vor Hunderten von Jahren von Persern nach Südasien importiert wurde. Miniaturmalereien zeigen seltene Motive von Pflanzen, Tieren und Architektur und weisen oft eine stattliche Symmetrie in der Komposition auf.
In Rajasthan, Nordindien, singen solche jahrhundertealten Miniaturen oft mit intensivem Kolorismus und kreuzen sich mit der hinduistischen religiösen Ikonographie. Nehmen Sie das Werben des schönen Radha durch den hinduistischen Gott Krishna - Radha, kurvenreich wie ein Pfau; Krishna, die Haut ist so blau, dass er dunkler ist als die Nacht. Obwohl im ursprünglichen Kontext jenseits der Welt und hypnotisch, sind solche Gemälde mittlerweile zum Stoff südasiatischen Kitschs geworden. In vielen von Sikanders Miniaturen hauchen abwechslungsreiche und persönliche Farbakzente den Bildern, die von verschwenderischem Kommerz und einschränkender Religion getrübt werden, ein ruheloses, modernes Leben ein.
Täglich werden in den Nachrichten Schwarz-Weiß-Dualitäten zwischen Ost und West dargestellt. Es scheint klar zu sein, warum Shahzia Sikander vom Miniaturisten zur Botschafterin der Zukunft aufgestiegen ist: Sie erschafft eine neue Welt auf bescheidenem Papier, indem sie Bilder aufnimmt, die ihrer Kultur vertraut sind, aber durch eine freie, eigenwillige Berührung seltsam gemacht wurden. Plötzlich verwandelt sich ein insulares, sogar vorhersehbares Medium in eine spielerische Unterwelt zwischen Ost und West - ein Reich der neu entdeckten Möglichkeiten.